„Lieber tanzen statt boxen“ – Sucht am Arbeitsplatz – BGFZ.live am 21.02.2023

„Es gibt keine rauschfreie menschliche Gesellschaft und selbst Tiere erleben hin und wieder beabsichtigte rauschähnliche Zustände“ zum Beispiel durch das Fressen von gärendem Obst. Doch was bedeutet das für unsere Gesellschaft, für Unternehmen und Mitarbeitende? Dies und weitere interessante Informationen zum Thema Sucht und wie man damit in der täglichen Arbeitswelt umgehen kann, erklärte uns Herr Wolfgang Wetzel vom Caritasverband Zwickau e. V. in der BGFZ.Live-Veranstaltung am 21.02.2023.

Dass es keine rauschfreie menschliche Gesellschaft gibt, zeigt einerseits, dass rauschartige Erlebnisse zum Leben dazugehören, andererseits besteht dabei immer auch die Gefahr der Abhängigkeit. Damit ist auch verbunden, dass Sucht am Arbeitsplatz ein weitverbreitetes Problem ist, von dem viele Unternehmen betroffen sind. Doch seit wann werden Drogen konsumiert und ab wann ist dieser Konsum bedenklich oder gilt sogar als Krankheit?

In manchen Kulturen sind Rauschzustände mit der Religion und dem Glauben verbunden, so zum Beispiel bei den indigenen Völkern in Südamerika. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass vor allem Alkohol seit vielen Jahrhunderten und auch Cannabis seit einiger Zeit ein Teil unserer gesellschaftlichen Bräuche ist. Der Konsum dieser Drogen wird demzufolge vorgelebt und er wird dadurch zur Normalität.

Als „Normal“ bzw. noch gesundheitlich unbedenklich gelten laut der Forschung etwa 20 – 40g Reinalkohol am Tag für Männer und 10 – 20g Reinalkohol am Tag für Frauen. Vorausgesetzt, diese Mengen werden nicht öfter als an fünf Tagen pro Woche konsumiert. Für Cannabis liegt die Obergrenze bei einem Konsum von maximal zweimal im Monat. Die Entwicklung hin zu einer Suchterkrankung ereignet sich in der Regel in vier Phasen.

Phase 1: Abstinenz


In dieser Phase befindet sich ein Mensch zu Beginn seines Lebens. Es werden keinerlei Drogen konsumiert. 

Phase 2: Risikoarmer Konsum

Das Trinken von zum Beispiel Alkohol wird vorgelebt, der Konsum ist kulturell eingebettet und die Menge bleibt in einem unbedenklichen Rahmen. Sei es, weil man die Zahlen aus der Forschung verinnerlicht hat oder weil ein Gefühl dafür entstanden ist, wie viel man verträgt.

Phase 3: Riskanter Konsum (Missbrauch)


Viele Menschen haben sich auch schon einmal im Bereich des riskanten Konsums befunden. Drogen werden hier zu viel und zu häufig konsumiert. Es gibt dabei eine Vielzahl an Gründen, die zu diesem Verhalten führen. Stress, Angst oder Beziehungsprobleme sind nur einige der Faktoren, die am riskanten Konsum schuld sein können. Speziell am Arbeitsplatz können lange Arbeitszeiten und hohe Arbeitsbelastungen Grund für einen Missbrauch sein. Sind diese Faktoren nach einiger Zeit beseitigt, nimmt meist auch der Drogenkonsum wieder ab.

 

Phase 4: Abhängigkeit (Sucht, Krankheit)

Halten die Probleme an, die zu Phase 3 geführt haben, kann sich über die Zeit eine Abhängigkeit entwickeln. Dies ist ein schleichender Prozess, dem man sich als Betroffener oder als Betroffene oft nicht bewusst ist.

Um die Suchtkrankheit festzustellen und zu schauen, an welchem Punkt man sich gerade befindet, können zum Beispiel bei einer Suchtberatungsstelle sechs Symptome überprüft werden. Diese sind:

  1. Zwanghaftes Verlangen (Verlangen über dem normalen Genussstreben)
  2. Verminderte Kontrollfähigkeit (Nicht zu wissen, wann Schluss ist bzw. Trinken bis alles leer ist)
  3. Körperliche Entzugssymptome (Zittern, Schwitzen, Halluzinationen)
  4. Toleranzbildung (Verträglichkeit entwickelt sich und für den Rausch werden immer größere Mengen benötigt)
  5. Vernachlässigung anderer Interessen (verändertes Freizeitverhalten, Vernachlässigung von Freunden…)
  6. Fortsetzung des Konsums trotz negativer Folgen (Führerschein wurde entzogen oder Trennung/ Scheidung aufgrund von Alkohol, aber Konsum wird fortgeführt)

 

Liegen mindestens drei dieser Symptome vor, kann man von einer Abhängigkeit ausgehen.

Egal, ob es sich nun um eine stoffgebundene Sucht, zum Beispiel aufgrund von Alkohol oder Cannabis oder um eine nicht stoffgebundene Sucht wie eine Spielsucht handelt, sie kann nicht nur das Leben der betroffenen Menschen und Mitarbeitenden beeinträchtigen, sondern auch die Produktivität, die Sicherheit und das Betriebsklima insgesamt negativ beeinflussen.

Oft sind Auffälligkeiten bei den betroffenen Mitarbeitenden erkennbar, bei denen aber unterschieden werden muss, ob es sich um eine suchtmittelbedingte Pflichtverletzung (Pflichtverletzung in Phase 3) oder um eine Suchtkrankheit (Phase 4) handelt. Die Krankheit darf nicht „bestraft“ werden, während eine Pflichtverletzung auch disziplinarische Konsequenzen nach sich ziehen kann. Ein Beispiel hierfür wäre die plötzliche Vernachlässigung der Arbeitssicherheit oder der Pünktlichkeit aufgrund des Konsums einer zu großen Menge an Drogen oder der Missachtung des Alkoholverbotes am Arbeitsplatz. Eine Suchtkrankheit besteht allerdings noch nicht. Es ist wichtig, dass Arbeitgebende und Mitarbeitende gleichermaßen ihr Bewusstsein für das Thema Sucht am Arbeitsplatz schärfen. Dabei sei erwähnt, dass Alkohol- und Drogentests bei sicherheitsrelevanten Fragen (zur Vermeidung von Arbeitsunfällen) sinnvoll sind, aber eine Durchführung das Einverständnis der Mitarbeitenden erfordert.

Eine Möglichkeit, mit der Arbeitgebende oder Personalverantwortliche ihrer Fürsorgepflicht in solchen Fällen nachkommen können, sind Gespräche. Diese werde unterschieden in Fürsorgegespräche, Klärungsgespräche und Stufengespräche.

 

Suchtkranke Mitarbeitende können durch das Befolgen der in den Stufengesprächen vereinbarten Maßnahmen (z. B. Beratung, ärztliche Behandlung, Reha…) zeigen, dass sie gewillt sind, ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Doch was sind eigentlich die Ziele einer Suchtberatung?  Ein erstes Ziel bei jedem Beratungsgespräch ist, dass der oder die Betroffene wiederkommt und eine beraterische Beziehung aufgebaut werden kann. Es wird dazu versucht, die Angst zu nehmen und Wege aus der Sucht aufzuzeigen, auf Vorwürfe und Zwang wird allerdings verzichtet oder wie Herr Wetzel sagte: „Ich tanze lieber mit den Betroffenen, als mit ihnen zu boxen. Und ich führe beim Tanzen.“

Dennoch funktioniert eine Behandlung der Suchtkrankheit häufig nur stationär und selbst dann kann eine Abstinenz manchmal nicht erreicht werden und auch Rückfälle sind eher der Normalfall als die Ausnahme. Wichtig ist dabei, einen Rückfall nicht als Misserfolg zu werten, sondern als Ansporn, denn er ist eine intensive Erfahrung, die durchaus als Teil des Heilungsprozesses gesehen werden kann. Unternehmen sollten auf Anzeichen für einen Rückfall achten und gegebenenfalls erneut Unterstützung bei Suchtberatungsstellen suchen.

Zum Schluss sprach Herr Gerd Steinert vom BVMW e.V. über seine Erfahrungen mit dem Thema Sucht. Laut ihm fehlen Personalverantwortlichen oft die Kompetenzen, um angemessen mit suchtkranken Mitarbeitenden umzugehen. In solchen Fällen sollte sich zum Beispiel Unterstützung bei Beratungsstellen gesucht werden. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. stellt zum Beispiel die Broschüre: „Suchtprobleme am Arbeitsplatz – Eine Praxishilfe für Personalverantwortliche“ und eine Reihe weiterer Literatur bereit. Aber auch den Familien und den Kolleg:innen fehlt meist das nötige Verständnis für die Suchterkrankung. Hier können Selbsthilfegruppen dazu beitragen, dem Leben der betroffenen Menschen wieder Ordnung und eine Struktur zu geben, denn hier sind betroffene Personen unter sich, wodurch sich alle gegenseitig viel Verständnis zeigen können.

Letztendlich ist eine Suchterkrankung kompliziert und in der Gesellschaft mit Scham besetzt, wodurch es vielen schwerfällt, darüber zu reden. Es ist aber wichtig, dass Unternehmen dieses Thema ernst nehmen und Maßnahmen wie Schulungen, Unterstützung und Prävention ergreifen, um eine gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen.